In einem Szenario schlüpft der Lernende in die Rolle eines Schauspielers und stellt sich möglichst realistischen Aufgaben und Herausforderungen, wie sie der Job jederzeit mit sich bringen könnte.[1]
Schauspieler… Das passt gut zur Wortherkunft: Szenario leitet sich ab von griechisch skene, das ist ein kleiner Abschnitt in einem Bühnenstück oder der Schauplatz einer Handlung.
Für den eLearning-Designer stellt sich dann die Frage: Wie gestalte ich die Bühne?
Ruth Clark zeigt sich skeptisch gegenüber 3D-Welten, Top-Scores oder Badges: Zum einen gebe es „keine belastbaren Belege“ dafür, dass Wettbewerbs-Elemente irgendwie zum Lernerfolg beitragen. 3D-Welten wiederum führten zu einer höheren kognitiven Last, da die Lernenden sich darin erst einmal zurechtfinden müssen.[2]
Selbst unsere typischen Feedbacks – „Großartig!“, „Damit bist du jetzt in den Top Ten!“ – sieht Clark kritisch, weil ein solches Streicheln des Lerner-Egos die Aufmerksamkeit eher von den Inhalten wegführt.[3]
Dazu passt ganz gut, wenn Cathy Moore in Ihrem wirklich sehenswerten Vortrag Building smart scenarios for great learning wiederholt appelliert: „Treat your learners like adults“ – und vielleicht gerade deshalb einen ganz anderen Weg vorschlägt.[4]
Zum einen plädiert sie dafür, eTrainings so weit wie möglich nur aus Szenarien bestehen zu lassen. Die Lernenden werden in die Entscheidungs-Situationen geworfen wie in das berühmte kalte Wasser. Hier gibt es auch keinen vorbereitenden Info-Teil: Alle relevanten Materialien – Regularien, Datenblätter, Produktinfos u. dgl. – werden dem jeweiligen Szenario einfach beigefügt und lassen sich bei Bedarf öffnen und heranziehen. Aber eben nur bei Bedarf und freiwillig. Der Lernende entscheidet selbst, wie viele Informationen er oder sie benötigt, um hier jeweils eine gute Entscheidung zu treffen.
Zum anderen nimmt Cathy Moore offenbar den Wort-Ursprung von „Szenario“ ernst und gestaltet es jeweils wie eine kurze Szene aus einem Bühnenstück. Und zwar genau so: als Text. Und nur als Text.
Das kann dann so aussehen:
Das ist auch schon alles. Nicht einmal ein Stockfoto von „Ravi“ gönnt sie uns.
Und wozu auch? Die Szene liegt klar auf der Hand, weil hier einige Regeln beherzt sind:
- Gib den Handelnden Namen.
- Show, don’t tell. Lass die Szene vor den Augen der Lernenden entstehen wie in einem Film.
- Wie im echten Leben: Gib nicht nur relevante Infos, sondern bau auch Unwichtiges, Überflüssiges und sogar Ablenkendes mit ein.
Kurz: Das Szenario sollte lebensecht daherkommen. Und dazu braucht es weder Fotos, noch besonderen grafischen Schnickschnack – nur die möglichst präzise Beschreibung einer Entscheidungs-Situation, wie sie im Arbeitsalltag so oder so ähnlich jederzeit eintreten könnte:
Kunde Ravi ärgert sich nämlich über Antwort A!
Ravis Antwort ist unmissverständliches Feedback: Antwort A war suboptimal!
Der Teilnehmer kann sich jetzt „Tipps“ geben lassen und dann per „Try again“ einen neuen Anlauf nehmen.
Als Autor bin ich hier mehr denn je auf die Fachexperten angewiesen. Ich brauche von ihnen Geschichten, wo etwas schief gelaufen ist.[5] Wo Fehler gemacht wurden, aus denen die Teilnehmer hier – in meinem Kurs als geschützem Raum – lernen können.
„War stories“ nennt Cathy Moore das. Fachexperten, das ist auch meine Erfahrung, erzählen dergleichen gern und geben damit zugleich wichtige Details und Zusammenhänge preis, die ihnen andernfalls nie und nimmer als „wichtig“ in den Sinn gekommen wären, weil sie zu sehr am „Wissen“ hängen. –
Aber: So sehr ich mit Cathy Moores Didaktik auch sympathisiere, sie birgt Risiken: Ein derart radikal reduziertes Kurs-Layout ohne jedes schmückende Beiwerk kann auf Kundenseite schnell Erwartungen enttäuschen („Wo ist denn hier das Bunte? Das soll ich dem Management präsentieren?“).
Ich selbst wählte darum vor einiger Zeit einen anderen Weg, indem ich versuchte, Cathys Ansatz in eine Grafik zu betten und mit einer Drag and Drop-Interaktion zu verknüpfen. Die Teilnehmer erhalten umgehend und unmissverständlich Rückmeldung, ob ihre Wahl eine gute war oder nicht![6]
Here we go:
Abb. 1: Das Szenario. Achtung: Es gibt – wie in der Praxis meist auch – eine beste (100 Pkte.) und eine zweitbeste (50 Pkte.) Lösung.
Abb. 2: Die (optional aufrufbaren) Infos über die zur Auswahl stehenden Antriebsriemen.
Abb. 3: Kaum ist eine der beiden „richtigen“ Lösungen in das Standbild gezogen, springt das Video an – die Maschine läuft!
Abb. 4: Abschließendes Feedback
[1] Ruth Colvin Clark: Scenario-Based e-Learning. Evidence-Based Guidelines for Online Workforce Learning. San Francisco 2013, S. 5
[2] ebd., S. 10 u. 30f. Clark betont hier zudem die hohen Entwicklungskosten.
[3] ebd., S. 108
[4] Cathy Moore: Building smart scenarios for great learning. (Learning Technologies 2015)
Auf Youtube unter https://www.youtube.com/watch?v=QHoC7S_1NAg
[5] „The typical scenario is initiated by a failure.” Clark, ebd., S. 24
[6] ebd., S. 41: „Intrinsic feedback is simply a visible illustration of how the scenario plays out or responds to the learner’s actions.”